Schnurgerade verläuft eine kaum sichtbare Linie über die rotbraune Ebene der Nasca-Wüste und verliert sich am Horizont im Flimmern der heißen Luft unter der stechenden Sonne Perus. Vor vielen hundert Jahren haben fleißige Hände die faustgroßen Schottersteine auf der Breite eines Wanderwegs weggeräumt, bis der helle Sand des Untergrunds zum Vorschein kam und sich die Linie deutlich vom Rest der Wüste abhob.
Markierte sie den Aufgang und Untergang eines Sternbilds zur Tag und Nachtgleiche? Oder die Position eines Fixsterns? Heute ist das kaum noch zu erraten, hat das Volk der Nasca doch von 300 v.Chr. bis etwa 700 n.Chr. mehr als tausend solcher Linien und breite Straßen, Trapeze und vor allem Figuren von allerlei Tieren in den Wüstenboden geschürft.
Die Archäologin mit dem roten VW-Bus
Maria Reiche, eine deutsche Mathematikerin, hat in der zweiten Hälfte des 20. Jhdts. ihr Lebenswerk darin gesehen, vor allem die Figuren zu vermessen und zu restaurieren und ist mit ledernem Maßband, Sonnenhut und Strohbesen in ihrem klapprigen VW-Bus kreuz und quer durch 500 qkm Wüste geholpert, um die Figuren zu kartographieren.
Ihr verdanken die Peruaner den Nachweis, dass bereits um Christi Geburt hier eine Hochkultur existierte, welche die lebensfeindliche Wüste zum astronomischen Kalender umfunktionierte, während sie in ihren religiösen Zentrum Cahuaci am Rande der Flussoase eine mehr als 38 Meter hohe Pyramide aus Adobe Ziegeln errichtete, von der aus man zumindest einen Teil der Linien beobachten konnte.
Wir haben auf unserer Traumreise durch Peru von Paracas kommend im ehemaligen Wohnhaus von Maria Reiche Station gemacht, das heute als kleines Museum besichtigt werden kann – was bei zwei Räumen sehr kurzweilig ist. Einige der Original-Vermessungskarten sind noch erhalten, auf denen man gut erkennen kann, dass sie nicht nur die Figuren in ihrer Ausdehnung und Lage, sondern jede Krümmung und jeden Winkel akribisch vermessen und aufgezeichnet hat. Dank ihrer Arbeit sind die meisten dieser Figuren erhalten geblieben und werden von Archäologen noch heute so gepflegt, das sie wie frisch angelegt erscheinen.
Ein paar Kilometer weiter, direkt an der Panamericana Sur ist ein hoher Metallturm mit luftigen Leitersprossen zu erklimmen, von dem aus man den Baum und zwei winkende Hände gut erkennen kann. Seltsam ist, dass die eine Hand nur vier Finger hat und die Hände damit die Zahl NEUN signalisieren – sehr merkwürdig!
Von einem nahegelegenen Hügel kann man einen anderen Teil der Ebene überblicken, sieht aber außer ein paar Linien nicht viel.
Die Hazienda als Luxushotel
Wir fuhren weiter bis zum Städtchen Nasca und haben im „Hotel Nasca Lines“ Quartier bezogen.Von außen ein eher unscheinbarer Kasten, offenbart sich die innere Schönheit, wenn man den großen Torbogen an der Rezeption durchschritten hat. Wie ein Garten Eden mit großen, Schatten spendenden Palmen und farbenfrohen Hibiskussträuchern umschließen Arkaden wie ein Kreuzgang die grüne Oase mit einem großen Pool in der Mitte, Liegestühlen, Sonnenschirmen und lauschige Sitzplätzen. Ein ideales Plätzchen zum Philosophieren – vor allem bei einem Pisco Sour oder einem Cerveza Pilsen.
An einer Tafel lesen wir, dass Maria Reiche ihre letzten Lebensjahre hier verbracht hat und noch mit 90 Jahren fast jeden Abend den Gästen ihre Theorie über den Sternenkalender des Nasca-Volkes nahe gebracht hat. Leider entdecken wir erst am folgenden Morgen ein Plakat, das darauf hinweist, dass jeden Abend im Maria-Reiche-Planetarium eine Vorführung stattfindet, bei der mittels Projektionen diese Theorie veranschaulicht wird. Schade, das hätte uns jemand vorher sagen sollen!
360° Panorama vom Maria Reiche Turm:
Rundflug über den Nasca Linien
Aber jetzt nix wie los zum Flughafen, wir haben einen der ersten Rundflüge am Morgen gebucht, um bei der tiefstehenden Sonne die Figuren im Wüstenboden aus der Luft besser sehen zu können. Um 7:30 checken wir am Schalter der Aerodiana ein, werden gewogen und erhalten unseren Sitzplatz je nach Gewicht zugeteilt. Erst noch Passkontrolle und Flughafengebühr von 10 US$, dann durch die Sicherheitsschleuse, die bei jedem piepst und rot leuchtet und keinen interessiert – aber was soll‘s?
Eine halbe Stunde später sitzen wir in einer großen Cessna und rollen zur Startbahn – und gleich wieder zurück!? Ein wenige Minuten vorher gestarteter Pilot hat über Funk gemeldet, dass auf der Nasca-Wüste noch Morgennebel liegt und die Sicht nicht optimal ist. Also alles aussteigen und im Abflugraum abhängen.
Etwas mehr als eine Stunde später geht’s dann mit heulendem Turbomotor los und in ein paar hundert Metern Höhe über die Wüste: Wal auf der linken Seite, Papagei auf der rechten, Kolibri links und Weltraummännchen rechts geht es in vielen Schleifen über die schiefe Ebene der Nascawüste. Flugtauglich muss man schon sein, denn die vielen Kurven- mal oben, mal unten, links, rechts- bringen den Kopf ganz schön durcheinander .
Eines wird mir beim Blick durch das Fenster auf die Wüste schlagartig klar: Die Figuren drängen sich uns förmlich auf und doch sind sie nur Beiwerk zur Unterscheidung der Vielzahl an Linien, welche die eigentliche Zeitinformation vermitteln. Der Affe mit dem spiralförmigen Schwanz ist sicher putzig, aber umschließt er nicht mit beiden Armen eine Linie als wollte er sagen: „die gehört zu mir“! Dass er an einer Hand ebenfalls nur vier Finger hat, habe ich schon fast erwartet.
Wir kennen die Sternbilder der Nasca nicht mehr, ja können nur vermuten, dass sie wie die Griechen den Sternen Figuren und göttliche Wesen zuordneten. Zeigt der Affe mit der Linie auf den Punkt im fernen Gebirge, an dem sein Sternbild am Horizont aufging? Dann wäre der dadurch definierte Zeitpunkt vielleicht gut um Bananen zu ernten? Wahrscheinlich bleiben die Linien der Nasca eines der ungelösten Rätsel der Menschheit!
Ihre Dimension zu begreifen und ihre Symbolik zu erahnen ist ein Erlebnis, das ich nicht vergessen werde. Sicher denke ich an die Linien von Nasca, wenn wie einmal wieder daheim in einer Sternennacht am Lagerfeuer sitzen. Wo wohl dann der Affe steht?