- Reisetagebuch Nordperu
- Die schwarzen Geier von Huaca Rajada
- Kuelap, die Festung der Nebelkrieger
- Abenteuer in den Anden Perus
- Cajamarca, Traumstadt in den Anden
- Die Pyramide der doppelköpfigen Schlange
Um die Zeit von Christi Geburt entstand im Norden Perus bei der heutigen Stadt Trujillo die Kultur der Moche. Ein Volk, das den Schöpfergott als den Anfang und das Ende allen Lebens verehrte und ihm in heiligen Zeremonien Blutopfer darbrachte.
Der weiße Berg
Weit im Norden Perus siedelte vor 2000 Jahren ein mächtiges Volk, das seine Hauptstadt am Fuß des Cerro Blanco, des weißen Berges über dem fruchtbaren Tal des Moche Flusses erbaute. Die Siedlung wurde von zwei gewaltigen Pyramiden überragt, die aus Adobe-Ziegeln erbaut worden waren: Dem östlichen, großen Tempel, den die Archäologen „Huaca de la Luna“ (Mondtempel) getauft haben und der westlichen Festung, in der die herrschenden Fürsten der Moche residierten, der „Huaca de la Sol“ (Sonnentempel).
Die Handwerker und Händler, die Diener und Mägde wohnten in kleinen Lehmhütten mitten drin. Zwischen dem kegelförmigen weißen Berg, an dessen Hängen im Licht des Vollmonds die Felsen wie Silber schimmerten, der weiten Wüste, die das grüne Flußtal noch heute umgibt und dem Meer herrschte eine mystische Verbundenheit. Der Berg war den Moche deshalb heilig.
Alles begann schon vor Christi Geburt zur Zeit der Freundlichen mit zwei Brüdern aus dem Dorf, die damals auf ihrem Feld eine kleine Schlange mit zwei Köpfen fanden und mit nach Hause brachten. Schon nach wenigen Tagen wurde ihnen klar, dass es sich bei der doppelköpfigen Schlange um einen Dämon handeln musste, denn bei allem was sie fraß, wuchs sie um etwa die gleiche Masse.
Als die Schlange nach wenigen Wochen fast mannsgroß geworden war, nötigten die Nachbarn die zwei Jungen, das Monster wieder loszuwerden, da sie nicht nur Angst um ihre Hühner und Meerschweinchen hatten, von denen die Schlange immer gleich zwei verschlang, sondern vor allem wegen der Kinder und um ihrer selbst Willen.
Auch die Brüder hatten inzwischen gewaltig Angst vor dem unheimlichen Wesen und führten sie unter dem Vorwand an den Strand des Meeres, dass es dort Robben in unendlicher Zahl gäbe, an denen die Schlange bestimmt Gefallen finden würde. Die Robben jedoch warfen sich beim Anblick des doppelköpfigen Monsters ins Wasser und die Schlange erkannte, dass sie hinters Licht geführt worden war und schlängelte sich zurück zum Dorf.
Unterwegs verschlang sie alles, was sie auf den Feldern fand: Lamas und Schweine, Kinder, Frauen und Männer. Rasch gewann sie dabei an Umfang und Länge, so dass sie einer der Siedler schon von weitem erblickte, als er dem Geschrei auf den Feldern auf den Grund gehen wollte. Er alarmierte die Nachbarn und die wiederum ihre Nachbarn, bis das ganze Dorf mit Kind und Kegel zum Fuß des Cerro Blanco flüchtete.
Als das doppelköpfige Monster dort ebenfalls anlangte und sich auf die letzten der Flüchtenden stürzen wollte, rumpelte die Erde, Staub stieg auf und in der Flanke des Berges öffnete sich ein tiefer Spalt. Schreiend vor Angst stürzten sich alle hinein und fanden Schutz. Die Schlange wollte den Flüchtenden folgen, wurde aber von den herabstürzenden Steinen erschlagen und begraben.
Als das Erdbeben vorbei war, räumten die Kräftigsten unter den Männern die Steine aus dem Spalt und alle kamen unversehrt wieder ans Tageslicht. Noch heute sieht man eine schwarze Linie quer über den Berg verlaufend, wo sich damals der rettende Spalt auftat.
Zu Ehren des Berggottes vom Cerro Blanco, der sie vor der dämonischen Schlange gerettet hatte, bauten die Moche einen Tempel am Fuß des Berges und überlieferten die uralte Legende in farbigen Bildern:
Ganz oben auf der Außenmauer der sechsten Ebene des fünften Tempels wacht der Berggott am Eingang des Tempels und verwehrt der Schlange, die von links herbei schlängelt, den Zutritt zum Heiligtum.
Der Gott der Berge war die oberste Gottheit im Pantheon der Moche. Er wird mit einem abgeschnittenen Kopf in der einen Hand und dem Tumi, dem zeremoniellen Messer der Priester in der anderen sowie vier Köpfen des Kondor, die aus seinem Körper sprießen, dargestellt. Manchmal trägt er auch eine Krone mit dem Gesicht einer Eule auf dem Haupt, hat ein katzenartiges Gesicht und die Tentakel eines Oktopus. Dies alles drückt die Macht des Schöpfers aus, der Leben zeugt und Leben nimmt (siehe Symbolik der Moche).
In der Theologie der Moche übertrug sich diese Macht auf Berge und Flüsse, auf Erde und Wasser. Der Schöpfer war der Ursprung aller Fruchtbarkeit und musste durch Opfer zufrieden gestellt werden. Der heilige, weiße Berg war spirituelles Zentrum der Bevölkerung seit dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung.
Der rituelle Kalender der Moche kannte Zeitalter, ähnlich dem der Mayas, nach deren Ablauf eine grundsätzliche Erneuerung zu erfolgen hatte. Nach etwa einhundert Jahren wurde deshalb der alte Tempel überbaut. Gänge und Kammern wurden mit Millionen von sonnengetrockneten Lehmziegeln aufgefüllt, ohne die alte Dekoration zu zerstören. Wie bei einer russischen Matroschka wurde der neue Tempel wie eine neue Hülle vor die alten Wände gebaut. Auf diese Weise wuchs der Tempel mit den Jahrhunderten in Breite und Höhe. Die Außenwände wurden stets mit Lehm remodelliert und mit einer Reihe von Göttern und mythologischen Wesen bemalt, um auf diese Weise die Macht dieses heiligen Platzes zu regenerieren.
Die Moche glaubten an eine Geisterwelt, in der ihre Ahnen lebten, nachdem sie dahingeschieden waren. Die Toten traten mit den Lebenden in Kontakt und kommunizierten mit ihnen während der Zeremonien, wo sie tanzten und Musikinstrumente spielten. Deshalb wurden verehrte und mächtige Verstorbene in Übereinstimmung mit überlieferten Ritualen präpariert und und behandelt, um sicher zu stellen, dass sie würdige Ahnen waren und wurden bei den Zeremonien in Mauernischen „gesetzt“.
In aufwändigen Begräbnisfeiern wurde diese Wandlung beschworen, bis sie die Stelle von Heiligen der katholischen Kirche einnahmen – wie sich die Bilder gleichen!
Eine ausführliche Dokumentation des WMF mit vielen großformatigen Bildern finden sie im Archiv zum download.