Die Hauptstadt der größten Karibikinsel ist nicht mehr schwarz vom Schimmel und auch nicht dem Verfall preisgegeben. Die Bilder aus den Reiseführern und Bildbänden sind Vergangenheit. Das Kuba von heute ist bunt und vor allem sauber!
Am Morgen
Die Besitzer des Hauses betrieben einen Großhandel mit dem Import von Stoffen, von denen bis zu zweitausend Ballen im Kellergewölbe gelagert werden konnten. Alle Räume hatten elektrisches Licht und das Treppenhaus umschließt einen elektrischen Fahrstuhl, der noch heute funktioniert, wenn nicht wieder mal ein Gast die Gittertür offen stehen lässt.
Die Tiffanylampen und die von bunten Glasscheiben durchbrochenen Raumteiler haben jüdische Motive in satten Farben, in denen das Morgenlicht bunt erstrahlt. Genau wie in der imposanten Lichtkuppel, einer gewagten Eisen-Glas Konstruktion, wie Eiffel sie auch in der Hauptpost von Saigon zur gleichen Zeit gebaut hat.
Hotel ist das Gebäude erst seit 2003, nachdem es vorher als Verwaltungsgebäude für eine Unfallversicherung und als Bürogebäude verschiedener Behörden gedient hatte. Ehe wir zum Stadtbummel aufbrechen, frühstücken wir noch Omelette und kubanischen Grieskuchen mit Honig und schwarzem Kaffee. Wer hier Brötchen mit Wurst und Käse nimmt, will sich mit Kuba noch nicht einlassen.
Sonnige Gassen, lauschige Plätze, fröhliche Menschen
Vor der Basilika treffen wir dann den bronzenen Caballero de Paris Jose Maria Lopez Lledin (1899-1985), der aus dem Gefängnis entlassen, als verarmter Edelmann geistig verwirrt durch die Straßen Havannas zog, wo er in den fünfziger Jahren nicht nur bei den Witwen lokale Berühmtheit erlangte. Seine Geschichte hat er immer wieder anders erzählt, aber stets wohlwollende Unterstützung unbekannter GönnerInnen erfahren. Eine Videoproduktion von Havana Radio zeigt ihn im Havanna der fünfziger Jahre.
An der Plaza Vieja staunen wir über die bunten, restaurierten Stadtpaläste. Die Ernennung zum Weltkulturerbe und damit verbundene Subventionen sind offensichtlich gut angelegt worden. Im Café gegenüber dem gelben Turm mit der Camera Obscura spielt heute Abend die berühmte Bueno Vista Social Club Combo. Sie kommen im Frühjahr auch nach Deutschland.
Wir bummeln die Calle Mercaderes nach Norden und biegen dann zur Plaza de Armas ab. Für mich ist das der Platz der Bücher. Den kleinen Park mit der Statue von Carlos Manuel de Céspedes in der Mitte, dem „Padre de Todos los Cubanos“, umgeben unzählige Händler mit antiquarischen Büchern in Spanisch, aber auch in anderen Sprachen. Das bunte Treiben genießen wir bei einem Mojito unter den Arkaden des Hotels Santa Isabel. Die Rhythmen der kleinen Combo mit den traditionellen Sons runden das Bild ab – so könnte es eine Weile bleiben.
Ein Küsschen in Ehren, kann niemand verwehren!
Am Palast des Generalgouverneurs staunen wir über das Pflaster aus Eisenholz, das dieser vor mehr als einhundert Jahren statt dem Kopfsteinpflaster aus Basalt hier verlegen hat lassen. Seiner Frau ging das laute Geklapper der Pferdehufe und der beschlagenen Stiefel der nächtlichen Wachen auf die Nerven. Auch sonst dürfte der Dame jeder Wunsch von den Augen abgelesen worden sein, wenn man das Meisner Porzellan und die kunstvollen Möbel aus Spanien im Palast so bestaunt.
Beim Hinausgehen kaufen wir Fettgebäck bei einem fliegenden Händler, das Tütchen für zwei CUC. Da er unseren Zehner angeblich nicht wechseln kann, verschwindet er und kommt die nächsten fünfzehn Minuten auch nicht wieder. Wahrscheinlich beobachtet er von weitem, wann wir endlich aufgegeben. Wir verlieren die Geduld und nehmen uns ein paar weitere Tüten als Wechselgeld, ehe wir weiterziehen. Da taucht er zeternd wieder auf und beklagt, wir hätten zu viele genommen. Da hatte er aber nicht mit Yeleni, unserer kleinen Reiseführerin gerechnet, die ihn in Spanisch abkanzelt, so dass er klein beigibt.
Auf Hemingways Spuren
Plötzlich ein Menschenauflauf in der Calle Mercaderes: Stelzenläufer, Musikanten und maskierte Gaukler ziehen durch die Stadt. Die Passanten werden schnell in das bunte Treiben einbezogen, um sich dann mit einem kleinen Trinkgeld wieder freizukaufen.
Jetzt wird es Zeit zurück ins Hotel zu gehen, um uns zum Abendessen frisch zu machen und umzuziehen. Wir werden von einem Oldsmobile und einem schwarzen Buick abgeholt. Dessen sechs Liter Motor mit acht Zylindern hat das ganze Repertoire vom sanften Brummen bis zum tiefen Grollen drauf. Einen Kavalierstart an der Ampel quittiert er mit einem kurzen Donnern.
Die Straßen durch die wir fahren, werden immer staubiger, die Laternen erst düster, dann dunkel. Ganz wie die Hautfarbe der Anwohner, die auf den Haustreppen sitzen und uns beobachten.
Neues Leben in alten Gemäuern
Im Treppenhaus passieren wir ein verlassenes Stockwerk, die fehlenden Wände geben den Blick auf die spärlich erleuchteten Fenster des Hinterhauses frei. Eine Wohnungstür im zweiten Stock wird geöffnet – wir sind da!
Das alte Bad fungiert als Bar, das Wohnzimmer rechts als Restaurant. Dort sitzt eine große Reisegruppe Amerikaner und parliert lautstark. Wir haben glücklicherweise einen Tisch im kleinen Zimmer links, das mit Heiligenfiguren aus buntem Pappmaché und allerlei Utensilien aus dem Film „Fresa y Chocolate“ ausstaffiert ist. Originell und Anlass über den Film und die heutige Situation Homosexueller und nicht systemkonformer Künstler zu diskutieren.
Das Essen ist ausgezeichnet, die Menüauswahl ungewöhnlich und die Bedienung aufmerksam und freundlich, auch wenn unsere Frage nach einem Kinderstuhl sie wohl überfordert. Das Restaurant wurde ein paar Jahre, nachdem der Film hier gedreht wurde, eröffnet und das Lokal zehrt von seinem Ruhm. Das merkt man an den hohen Preisen, aber auch an der langen Liste von Reservierungen.
Ein Kanonenschuss hallt durch die Stadt – 21 Uhr – die Kanone der Hafenfestung kündigt das Schließen der Stadttore an (die es längst nicht mehr gibt) und ruft unsere Fahrer mit ihren Oldtimern zur Rückfahrt ins Hotel Raquel.
Ein letzter Daiquiri auf der Dachterrasse unter herrlichen Lauben mit Blick hinüber ganz Alt-Havanna zur Festung und dann heißt es für heute: „Buenos noches“!