Die kleine Kirche von Panagia Faneromeni steht seit 500 Jahren am felsigen Strand von Kassandra, dem westlichsten Finger der griechischen Halbinsel Chalkidiki. Die meisten Urlauber fahren daran achtlos vorbei, obwohl die Ikone der Maria in ihrem Inneren, von der diese Geschichte erzählt, zu den Heiligtümern der orthodoxen Christen in Griechenland zählt.
Das Madonnenwunder von Tsaprani
Langsam richtete sich Jannis auf und stöhnte dabei leise – immer mehr schmerzte ihn in letzter Zeit der Rücken bei der Gartenarbeit. Über dem Meer senkte sich die Sonne langsam dem Olymp entgegen und auf Kassandra, dem westlichsten Finger der Chalkidiki lies die Schwüle des Tages langsam nach. Es wurde Zeit, dass er sich auf den Heimweg nach Tsaprani machte. Von den Gärten an den Ufern der Ägäis bis zum Dorf war es eine gute halbe Stunde und als er ein Stück des Wegs zurückgelegt hatte, senkte sich langsam die Dämmerung übers Land. Schwer atmend blieb er stehen und stellte den schweren Korb mit den frisch geernteten Früchten am Wegrain ab um zurück zu blicken.
Was war das für ein seltsames Leuchten auf dem Meer, das sich langsam dem Ufer näherte – das werden doch keine Piraten sein? Rasch nahm er den Korb auf und sputete sich, nach Hause zu kommen. Jedes Mal, wenn er sich umdrehte, um nach dem Licht zu schauen, war es näher am Ufer!
Ganz außer Atem kam er zu Hause an und alarmierte die Nachbarn. Einer ging ein Stück des Wegs zurück und berichtete, dass das Boot mit dem Licht jetzt am Ufer angelegt hätte. In höchster Aufregung löschten sie alle Lichter und das ganze Dorf blieb die Nacht über wach – doch nichts geschah.
Am nächsten Morgen machten sich die Mutigsten, mit Axt und Sense bewaffnet, vorsichtig auf den Weg und stiegen hinab zum Strand. Aber weit und breit keine Piraten, noch nicht einmal ein Boot war zu sehen. Als sie durch die Tamarisken hinunter zum steinigen Strand kletterten, blieben sie wie vom Donner gerührt stehen. Da schwamm ein riesiger, leuchtender Marmorblock wie ein Korken auf dem Wasser. Als sie ihn näher in Augenschein nahmen, stellten sie fest, dass er mit dem Bildnis der Madonna bemalt war.
Mit vereinten Kräften zogen sie den schwimmenden Stein ans Ufer und bekreuzigten sich – sie hatten ein leibhaftiges Wunder erlebt. Sie beratschlagten und beschlossen den türkischen Kommandanten um Erlaubnis zu bitten, dem Marmorstein eine Kapelle zu errichten.
Der aber lachte über die seltsame Geschichte der Ungläubigen und befahl ihnen barsch den Unsinn zu lassen und gefälligst wieder ihrer Arbeit nachzugehen.
Die Bauern von Tsaprani aber versammelten sich nach ihrem Tagwerk bei der Marien-Ikone, sangen Lobpreisungen und beteten zu Maria um ihre Hilfe beim Bau der Kapelle ihr zu Ehren.
Der türkische Kommandant von Kassandra hörte von diesen Ritualen und war außer sich. Am nächsten Abend platzte er in ihre Versammlung und brüllte, dass einem die Ohren hätten wegfliegen können. Als sich die eingeschüchterten Bauern nicht vom Fleck bewegten, wurde er zornig und trat mit beiden Füßen nach dem Ikonenstein.
Da geschah das Wunder: Seine Zehen versanken im Marmor, als sei es frisch angesetzter Brotteig und sosehr er sich auch mühte, er bekam die Füße nicht mehr raus. Auch sein Adjutant konnte ihn nicht aus dem Stein befreien und so baten sie erschrocken die Bauern zu Maria zu beten, um die Füße des Kommandanten zu befreien. Er versprach nicht nur die Kapelle bauen zu lassen, sondern wollte auch sich und seine Familie taufen lassen, wenn er nur von diesem vermaledeiten Stein loskäme.
Die Madonna vollendete das Wunder und der Kommandant konnte seine Füße befreien, deren Abdrücke man noch heute tief in den Stein eingegraben sieht.
Schon in den nächsten Tagen brachten die Bauern den Marmorstein vom Meeresufer an eine erhöhte Stelle, wo sie die Kapelle errichten wollten. Am nächsten Tag aber lag der Stein wieder unten. Da verstanden die Bauern den Willen der Madonna und errichteten die Panagia Faneromeni direkt am Ufer unterhalb der Inselstraße direkt am Meer.
Die Panagia Faneromeni
So erzählt man sich auf Kassandra die Offenbarung der Madonna seit mehr als 400 Jahren.
Die Madonna ist auf dem Stein heute nur noch zu erahnen. Nur ein paar spärliche Reste des Fresko-Putzes sind noch erhalten. Umso deutlicher sind die Fußstapfen im Stein zu erkennen. Dort war vermutlich eine Statue verankert, für die der Stein einstmals als Sockel diente. Aber auch in der Neuzeit wird noch von den Wundern des in der Altarwand der Kapelle eingelassenen Steins berichtet. Demnach soll jedes Mal, wenn Griechenland Schlimmes widerfährt, die Madonna im Stein bitterlich zu weinen beginnen:
- 1940 vor Beginn des Krieges
- 1974 bei der türkischen Besetzung Zyperns
- 1993 als Mazedonien Ansprüche auf Thessaloniki anmeldete
Nein, die von der europäischen Union finanzierte Restrukturierung des griechischen Staatshaushalts und die damit verbundenen einschneidenden Kürzungen der Ausgaben rührten die Madonna nicht zu Tränen!