Das Kloster Sankt Johann (Son Jon) im Val Müstair ist aus dem Schweizer Engadin nur über den Ofenpass zu erreichen. Nach Meran sind es dagegen nur bequeme 70 km quer durch Südtirol. Das hat auch schon Karl der Große erfahren, als er über den Umbrailpass aus Mailand hier im Schneesturm ankam.
Das Tal der Schmelzöfen
Bei der Unterwerfung der Langobarden war das Vallis Calvena – der romanische Name des Münstertals – nicht nur wegen seiner Lage direkt an der Heerstraße von Tirol nach Italien, sondern auch wegen der reichen Eisenvorkommen und der Schmelzöfen ein hart umkämpftes Tal. Der Bergwerksbetrieb am Ofenpass und die Schmelzhütten im Tal (siehe Chasa Chalavaina) waren für die romanische Bevölkerung Quelle des Reichtums.
Simon Lemnius Emporicus (1500 – 1550)
Der Dichter des Schweizer Nationalepos ist hier aufgewachsen und erzählt uralte Verse:
Hier bestand Karl einst grimmigen Kampf an den Ufern des Flusses, der an den Wiesen Cesseros vorbeifliest. Kämpfend bezwang er grausame Völkerschaften allhier …. Also erzählt es die Sage. Häufig befinden sich Gräber an einzelnen Stellen im Felde. Jetzt noch erinnert man sich all der Hügel aus dämmernder Vorzeit.
Karl erlangte den Sieg und erbaute im Felde den Tempel. Mönche bewohnten ihn einst, doch wurden sie später vertrieben. Heiligen Schwestern wurde sodann die Stiftung verliehen, denn es waren im Laufe der Zeit die Mönche verweichlicht.
Son Jon als Kaiserpfalz
Kloster Son Jon
Das Untergeschoss der Kapelle war ursprünglich eine Gruft, später diente er als Totenkapelle und als Beinhaus für die aufgelassenen Gräber des umliegenden Friedhofs. Das Obergeschoss war schon immer eine fantastisch ausgemalte Privatkapelle der Äbte des Klosters und des Churer Bischofs, wenn dieser im Val Mustair weilte. Sie wir zur Zeit restauriert und ist nicht zugänglich.
Das Kloster und die Kirche sind im Rahmen einer Führung zugänglich (Eintrittskarten im Museumsshop schräg gegenüber der Kapelle). Wer am Wochenende kommt, sollte unbedingt eine der Messen besuchen, an denen die Benediktinerinnen alte liturgische Choräle singen (steht am Anschlagbrett direkt vor der Kapelle).
Plantaturm
Er wurde von der Äbtissin als Wohn- und Wehrturm ausgebaut, während die bischöflichen Gemächer im Nordteil der Klostervierung untergebracht waren. Erst im Barock wurden statt des gemeinsamen Schlafsaals Zellen im dritten Stock eingebaut. Trotz eisiger Kälte im Winter wurden diese bis weit ins letzte Jahrhundert hinein bewohnt. Auch heute noch steht beten und arbeiten im Mittelpunkt der zwölf Benediktinerinnen, wie das Stechen von Löwenzahn und die Gartenarbeit bei unserem Besuch.
Die Fresken der Klosterkirche
Tief beeindruckt hat mich die ergreifende Darstellung des Martyriums Johannes des Täufers. In der Mitte thront Herodes an einer langen Tafel, vor ihm Salome tanzend, Purzelbäume schlagend und mit allen Mitteln weiblicher Raffinesse bezirzend. Ihr Begehr: der Kopf des Johannes. Als diesem schließlich der Kopf mit dem Schwert abgeschlagen wird. präsentiert sie diesen dem Herodes auf dem Silbertablett. Eingefädelt hat dies aber alles ihre Mutter, die scheinbar unbeteiligt mit dem Rücken zum Betrachter in der Bildmitte steht. Da lohnt es sich, die ganze Geschichte nachzulesen!
Wir nehmen Abschied von Karl dem Großen, der an der rechten Säule über die Geschicke seines Klosters wacht – mit Krone, Zepter und Reichsapfel in der Hand – und freuen uns auf das Abendessen in der Chasa Chalavaina.