Memmingen, die bayerische Grenzstadt in Schwaben, war vor vielen hundert Jahren Brückenkopf für den Handel mit Italien und Repräsentanz für die italienische Architektur des Barock und Rokoko, die man noch heute an den Stadtpalais der reichen Patrizierfamilien bewundern kann.
Die Patrizierhäuser am Marktplatz
Den ganzen Tag schon strahlte die Sonne aus einem wolkenlosen, tiefblauen Himmel und das Thermometer hatte sich auch im Schatten bei über 30° eingependelt. Der breite Marktplatz, das Herzstück der Memminger Altstadt, ist am Freitag wie leer gefegt, Markttag ist hier Dienstag und Samstag. Vor der Eisdiele von Pedro, unter schattigen Schirmen schlecken Kinder an ihrem Eis und die Väter genießen es, zum Espresso rauchen zu dürfen.
Gegenüber im Erdgeschoss des 500 Jahre alten Steuerhauses logiert eine feine Gesellschaft, deren lange Tafel vor der Fassade schon im Hausschatten steht, den die tief stehende Sonne in ein warmes Licht taucht. Dahinter steht ein Musiker Duo, das Lautsprecher verstärkt seine südländischen Lieder trällert, fast wie in Italien.
Wir treffen uns mit der Stadtführerin am Marktbrunnen, der vor dem rosa Haus der Patrizier steht, die hier schon vor mehr als 500 Jahren ihre Zunftversammlungen abhielten und in dem großartige Bälle gefeiert wurden. Die Herren im opulenten Outfit der Renaissance, die Damen in seidenen Ballkleidern aus Venedig. Denn nach Italien unterhielten die Memminger Kaufleute beste Handelsbeziehungen, über den Fernpass, dann den Brenner nach Verona und von dort weiter bis Venedig.
Weil das Zunfthaus den Marktplatz so präsent dominiert, wird es von Besuchern oft für das Rathaus des Bürgermeisters gehalten, das sich mit seiner viel jüngeren Rokokofassade in hellgrau etwas zurückversetzt in einem spätmittelalterlichen Bau befindet. Bei der Modernisierung wurde das Steuerhaus um ein paar Arkadenbögen gekürzt, die seitliche Fassade abgeschrägt und mit Rokokoengeln auf Wölkchen verziert, um dem Rathaus nicht den Blick zu verstellen, der von hier über den ganzen Marktplatz mit stark gegliederten Patrizierhäusern in allen Farben bis zum hohen Turm der Stadtkirche Sankt Martin schweifen kann.
Protestanten in Memmingen
Ehe wir die breite Treppe neben der Sankt Martins Kirche hoch steigen, bewundern wir den Uhrturm mit der Stundenglocke und dem seltsamen, achteckigen Turmgeschoß mit der welschen Haube, die vor fünf Jahrhunderten wohl der letzte Schrei aus Italien war und noch heute eines der Memminger Wahrzeichen ist.
Gegenüber ist heute das Stadtmuseum im ehemaligen Palais des Freiherrn Benedikt von Herman untergebracht, der diesen Prachtbau vor 250 Jahren als Brückenkopf seines venezianischen Handelsimperiums in seiner alten Vaterstadt erbaute, die er mit 13 Jahren bereits verlassen musste, als er zum Onkel nach Venedig in die Lehre geschickt wurde. Ehe er dort mit neunzig Jahren verstarb, bildete er seine Neffen in Venedig zum Kaufmann aus, ehe sie wieder nach Memmingen zurückkehrten. Einer davon nahm dann auch das Stadtpalais zur Residenz und leitete von hier die Geschäfte nördlich der Alpen.
Quer über den Kirchplatz von St. Martin gehen wir auf die Kinderlehrkirche zu, vor der ein Nachtwächter mit Laterne und Hellebarde einer Schar Kinder die Geschichte des Antoniterordens erzählt, dessen Klosterkirche dieses Gotteshaus einstmals war. Für mich ist sie eine der schönsten protestantischen Kirchen, in deren Licht durchflutetem Chor ein gotischer, aus dunklem Holz geschnitzter Hochaltar Jesus mit Kindern darstellt, die sich Schutz suchend an sein wollenes Gewand klammern.
Ganz ohne Farbe und Blattgold, ohne Pomp und Glanz erzählt der Künstler:
„Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie die Kinder, der wird nicht hineinkommen. Und er nahm die Kinder in seine Arme, dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie“ (Markus 10, 15)
Memmingen und Italien in einer Hand
Gegenüber, auf dem Dach des Fuggerbaus nisten die Störche und klappern mit hoch aufgerecktem Schnabel, damit ihre flüggen Jungen den richtigen Schornstein zum Landen finden. Der Augsburger Kaufmann Jakob Fugger hat dieses große Haus schon vor dem dreißigjährigen Krieg als Niederlassung in Memmingen erbaut. Später logierten dann die Kontrahenten Wallenstein und Gustav Adolf ebenso wie der bayerische Kurfürst Max Emanuel – zu verschiedenen Zeiten versteht sich!
In einem kleinen Park um die Ecke zeugt die bronzene Reiterstatue des bayerischen Herzogs Welf VI von der uralten Verbindung der Geschlechter mit Italien. Er war vor mehr als 800 Jahren Herr über Memmingen und zugleich Herzog von Spoleto in Umbrien, Fürst von Sardinien und Korsika, sowie Markgraf der Toskana. Die kleine Frauenfigur in seiner rechten Hand deutet aber auch an, dass er seinen Lebensabend lieber in Memmingen mit Wein, Weib und Gesang verbrachte.
Beim Gang durch die engen Gässchen der Altstadt, mal rechts, mal links des Stadtbachs, über schmale Brückchen, fällt uns manche Kuriosität auf, wie die drei Mohren an der Ecke des Hotels „Weber am Bach“, die mit Keule, Schwert, Pfeil und Bogen nach Feinden Ausschau halten und über die Gäste wachen.
Am Hallhof dominiert der weiße Kirchturm des Kreuzherrnklosters, das vom Heilig-Geist Orden gegründet wurde. Nach dem Ende der Kreuzzüge widmeten sich die Ordensherrn dann, wie auch in Nürnberg, vor allem der Pflege von Alten und Kranken. In den Gewölben des ehemaligen Spitals logiert heute ein Konditorei Café und die mit fantastischem, barocken Stuck ausgeschmückte Hallenkirche daneben dient als Konzertsaal.
Sabine Streck, die Stadtführerin
Kein Rundgang durch die Geschichte Memmingens lässt den Hexenturm aus, den letzten der drei Mauertürme mit Verlies, in dem die Ehebrecher ihre Sünden büßen mussten.
Das putzige Häuschen daneben dient den Stadtgärtnern jetzt als Unterstand für Schaufel und Rechen, wenn sie im dahinter gelegenen Zollergarten den Blumenschmuck pflegen, in dem bei dieser Sommerhitze die Memminger flanieren, fast schon wie in Italien!
