Eine Fastenwanderung wollten wir machen, einen Besinnungsweg in der Karzeit zu den Marterln und Hauskapellen rund um Windischeschenbachs Kontinentale Tiefbohrung-Anlage. Wer hätte da schon gedacht, dass nur eine Woche später, das „Wandern“ selbst zum „Fastenprogramm“ gehören würde, wenn es sich nicht um einen kleinen Spaziergang mit der Familie vor der eigenen Haustür handelt.
Die Pandemie schränkt unseren Tagesablauf und unsere Aktivitäten drastisch ein. So darf ich euch diesmal zu einer Traumwanderung einladen, die vor allem in eurer Fantasie stattfindet, aber deswegen keinesfalls langweilig werden wird.
Die Kontinentale Tiefbohrung im Blick
Schon von weitem weist uns der Bohrturm der Kontinentalen Tiefbohrung den Weg zum Wanderparkplatz auf der Höhe über dem Tal der Fichtelnaab. Dort ist auch Platz für etwas größere Wohnmobile. Gebohrt wurde hier schon Anfang der neunziger Jahre, heute beherbergt das Industriegelände das KTB-Museum, in der man Interessantes über das mit 9.101m tiefste Loch der Welt erfährt. Wir heben uns das für nach der Wanderung auf, um nicht gleich an der ersten Station hängenzubleiben.
Vom Parkplatz aus starten wir auf dem „Euregio Egrensis Radweg“ den Waldrand entlang nach Norden ins Flusstal. Waldarbeiter haben das Gestrüpp am Wegrand „auf Stock gesetzt“ und die schönen Ruten mit Palmkätzchen einfach liegen lassen. Wir sind hier mitten im „Naturpark Nördlicher Oberpfälzer Wald“ und trauen uns keine mitzunehmen – unendlich schade eigentlich!
Drunten, im Tal der Fichtelnaab, führt der Weg bei der Mühle von Trautenberg durch eine Furt. Das mag im Sommer ja gehen, aber im März sprudelt selbst der Mühlbach weiß schäumend über das Wehr. Gott sei Dank hat ein weitsichtiger Gemeinderat eine schmale Metallbrücke daneben bauen lasse und wir kommen trockenen Fußes drüben an.
Hier ist unser erstes Ziel die Kapelle der „Heiligen Familie“ die erst Ende des letzten Jahrhunderts erbaut wurde. Dann führt unser Weg vorbei an der abgegangenen Burg von Trautenberg, unter der Eisenbahnlinie hindurch, hinauf nach Lehen.
Dort kommen wir schwer schnaufend an, da das Sträßchen mit erheblicher Steigung zum Ort und dann genauso weiter durch Lehen hindurch auf einem Feldweg zum Schrollenbühl führt, wo nicht nur eine toskanische Granitsäule von 1789 mit modern anmutenden Hinterglasbildern in der Laterne auf uns wartet, sondern auch eine sehnlichst herbeigewünschte Bank, um in der Märzensonne ein wenig zu verschnaufen.
Auf dem Höhenrücken südlich gegenüber liegt die KTB, unser Ausgangs- und Endpunkt, wie auf dem Präsentierteller vor uns. Seltsam, das soll der höchste Landbohrturm der Welt sein? Sieht eher ein wenig pummelig aus!
Über die Höhen nach Pleisdorf
Das nächste Stück Weg ist ziemlich tiefgründig und der Feldweg von schweren Traktoren immer wieder aufgewühlt. Dieser Abschnitt macht die ganze Tour für Kinderwagen und Fahrräder zumindest im Frühjahr nur bedingt geeignet.
Die Marienkapelle der Familie Weidner von 1925 an der Wegkreuzung östlich von Eiglasdorf sieht mit ihrem dunklen, wettergegerbten Granit und dem struppigen Dornenbusch daneben im März etwas trist aus. Ihr Charme erschließt sich dem Wanderer erst, wenn er sich die Nase am vergitterten Fenster plattdrückt. Das Altarbild stammt noch aus dem vorher hier stehenden Kirchlein und zeigt Maria mit dem Jesuskind über dem Spruch: „Heil: Gottesgebärerin, bitt‘ für uns“, flankiert vom Heiligen Florian mit dem Wassereimer und dem Heiligen Sebastian, gefesselt an einen Baum.
Ganz anders im frühen Sommer. Da blüht der unscheinbare Dornenbusch über und über im flammenden Rot, so dass er die eigentliche Attraktion darstellt.
Wir biegen rechts ab und wandern auf breitem Weg hinüber nach Pleisdorf. Dort erwartet uns eine der Attraktionen des Ausflugs: Direkt neben dem hundert Jahre alten, metallenen Dorfkreuz hat der Kapellenverein 2003 eine Marienkapelle erbaut, die an den Wochenenden für die Einheimischen zum Mittelpunkt ihrer Andacht geworden ist, aber auch Wanderern und Besuchern offensteht – zumindest normalerweise. In Zeiten von Corona drücken wir uns also die Nase am Fenster der geschlossenen Kirchentür platt und werden mit einem psychodelischen Erlebnis belohnt. Die Scheibe ist aus handgezogenem Glas und wirft Blasen und Schlieren. Wir sehen den Altar mit seinem bunten Fenster nur verschwommen. Bewegt man den Kopf aber auch nur minimal, kommt fantastisches Leben die Szenerie: Alles wogt und wabert, verschwimmt und tritt an anderer Stelle wieder klar in Erscheinung. Erblicken wir hier unsere Zukunft oder ist es ein Fenster in die christliche Vergangenheit – alles bleibt ihrer Fantasie überlassen.
Finanziert wurde die Kapelle aus den Erlösen des alljährlich Ende Juli stattfindenden, legendären Dorffest. Da auch nach dem Bau der Kapelle weiter gefeiert wurde, ist erst vor wenigen Jahren auf dem Dorfplatz ein neuer Holzbackofen unter dem Motto „Täglich a Brot und a Bier, so machen’s mir“ errichtet worden. Dort wird beileibe nicht nur Brot, sondern auch Zwiebelkuchen und Pizza gebacken. Kein Wunder, dass die Besucher teilweise von weit herkommen.
Auf dem alten Eschenbacher Weg
Von hier führt der Weg Nr.9 wenig romantisch entlang der Landstraße, vorbei an der Schweinmühle mit ihrem Campingplatz, bis am Waldrand rechts ein Weg abzweigt, der uns auf die Anhöhe oberhalb der Oberbaumühle führt. Schon von weitem sehen wir die „Maria und den 14 Nothelfern“ geweihte Kapelle zwischen zwei mächtigen, fast hundertjährigen Eichen stehen.
Erbaut haben sie Vicktoria und Johann Rupprecht 1928, der Besitzer des großen Mühl- und Sägewerks und seine Gattin, direkt unter uns im Tal der Fichtelnaab. Das „Gegrüßt seist Du Maria …“ steht auf den wächsernen Seiten des Altarbuchs. Was wohl der Grund für das Gelübde war, aufgrund dessen die Rupprechts die Kapelle bauen ließen?
Wir wandern weiter in Richtung Windischeschenbach und entschließen uns, einer plötzlichen Eingebung folgend, den Besuch des Kommunbrauhauses oder einer Zoiglstube auf bessere Zeiten zu verschieben und nehmen stattdessen den alten Eschendorfer Weg, der früher die Hauptverbindung zwischen Eschenbach und Krummennaab war.
Oben auf der Höhe grüßt uns schon von weitem eine toskanische Säule aus Granit aus dem Jahr 1774, von deren Laterne ein Emaille-Schild der Schmerzensmutter Maria weit übers Land blickt. Welche Mutter wohl damals auch einen Sohn verloren hat?
Mehr kann man über zwei Wanderbrüder lesen, zu deren Erinnerung der Wanderverein zwei Totenbretter neben der Ruhebank aufgestellt hat.
Bis nach Berg verläuft der Weg jetzt abschüssig und es geht sich wie von selbst. Gleich bei der ersten Scheune versteckt sich ein Granitpfeiler mit Kreuzbekrönung zwischen mächtigen Eichenstämmen, während die Totenbretter der Familie Meier sofort ins Auge stechen. Wenn es sich tatsächlich um die Totenbretter des Ehepaares handeln sollte, waren die beiden ganz schön korpulent.
Kurz hinter Berg, auf dem Weg nach Naabdemenreuth, steht die Herz-Jesu-Kapelle ebenfalls zwischen mächtigen Eichen. Erbaut hat sie Hans Wagner ebenfalls 1928: Die Weltwirtschaftskrise war bereits in vollem Gang, wenig später, im Oktober 1929 war der Schwarze Freitag mit dem größten Börsencrash, den die Welt bisher erlebt hat … und schon sind wir mit unseren Gedanken mitten im Jetzt! Sollten wir auch eine Kapelle errichten, vielleicht gleich für alle Heiligen?
Die Geschichte von der alten Dorfbotin
Tief in Gedanken versunken stolpern wir den schmalen Weg nach Naabdemenreuth. Links die untergehende Sonne am Bohrturm, rechts der weite Blick in die Oberpfalz. Bei einem Feldkreuz und einem Jägerstand unter einer Kandelaber-förmigen Kiefer, setzen wir uns auf die Bank und sehen den Jäger den Berg heraufkommen. Er bleibt ein Stück vor uns stehen, und fragt uns, ob wir wüssten, wo wir hier sitzen? Auf unser erstauntes Verneinen, erzählt er uns die Geschichte von der Dorfbotin:
„In früherer Zeit war es eine der üblichen Aufgaben rüstiger, älterer Frauen mit Buckelkorb und zu Fuß so manchen Tausch-, Kauf- oder Abholauftrag im nahen Eschenbach gegen bescheidenen Lohn zu erledigen, Sommer wie Winter. Auch die damalige Naabdemenreuther Dorfbotin – den alten Eschenbacher Weg herabkommend – stapft durch hohen Schnee und trotzt dem Sturm. Sie ist froh, bald das Heimatdorf zu erreichen. Die rettenden Häuser schon in Reichweite verlassen sie die Kräfte und sie beschließt unter der großen Kiefer ein letztes Mal Rast zu machen.
Sie wird in der Kälte bewusstlos und erfriert. Zwei am Abend heimkehrende Holzfäller sehen gerade noch eine Ecke des geflochtenen Buckelkorbes aus der Schneewehe herausschauen. An dieser Stelle wurde das Christuskreuz errichtet, das den vorbeikommenden Wanderer zum Gebet für die Verunglückte auffordert.“
Den letzten steilen Anstieg zur KTB schaffen wir auch noch und sind von so viel Geschichte und Geschichten um ein paar Kapellen und Feldkreuze, die wir heute erfahren haben, überrascht. Inspiriert hat mich Rudi Nordgauer, dem für die Vorlage hier gedankt werden soll.
Vielleicht haben Sie im späten Sommer Gelegenheit den Weg nachzuwandern. Ansonsten hatten Sie hoffentlich viel Freude am TraumWandern zu Hause vorm PC. Bleiben Sie gesund!