Rituale der Reinigung und des Loslassens haben die sechs Rauhnächte des alten Jahres bestimmt. Die sechs Rauhnächte des neuen Jahres haben die Zielfindung, die Planung und die Umsetzung zum Inhalt.
Dabei wurden diese Sagen und Geschichten von den Rauhnächten in meiner Kindheit nur noch im Flüsterton erzählt. Woran ich mich von damals noch erinnere, habe ich niedergeschrieben, denn heute erkenne ich in jedem Bild lange überlieferte Weisheiten.
31. Dezember – Silvester
Seit Urzeiten vertreiben wir das alte Jahr mit Lärm, Krach und Räucherwerk. Wir nehmen Abschied und lassen das alte hinter uns und sind zugleich neugierig auf das, was das neue Jahr bringt.
So, wie die Nacht den Tag gebiert, so nehmen die magischen zwölf Nächte die Geschehnisse der folgenden Monate voraus. Bei Fragespielen, Bleigießen oder anderen zweifelhaften Lustbarkeiten versuchen auch heute noch selbst aufgeklärte Menschen an Silvester einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Meine Mutter hat das nie gemocht, zu gefährlich erschien ihr, was man sehen könnte.
1. Januar – Neujahr
Jetzt ist es an der Zeit, Vorsätze für das neue Jahr zu fassen. Schon Johann Wolfgang von Goethe hat dies allgemeingültig in Worte gefasst:
„In dem Augenblick, in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt, bewegt sich die Vorsehung auch. Alle möglichen Dinge, die sonst nie geschehen wären, geschehen, um einem zu helfen. Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt durch die Entscheidung, und er sorgt zu den eigenen Gunsten für zahlreiche unvorhergesehene Zufälle, Begegnungen und materielle Hilfen, die sich kein Mensch vorher je so erträumt haben könnte. Was immer Du kannst, beginne es. Kühnheit trägt Genius, Macht und Magie. Beginne jetzt!“
2.Januar – Segenslicht
Die Feiertage sind vorüber, Altes haben wir losgelassen, Neues uns vorgenommen – ein guter Zeitpunkt uns zu sammeln, in uns zu gehen und unser inneres Gleichgewicht zu finden.
Kerzen anzünden, frischen Tee oder Kaffee kochen, vielleicht ein Glas Calvados schwenken und sich auf’s Sofa setzen und den Weihnachtsbaum bewundern – sonst nichts.
Meiner Mutter war dieser Tag heilig, vor allem wenn er auf ein Wochenende viel und sie nicht zur Arbeit musste. Wenn ich dann nach einiger Zeit unruhig wurde und sie fragte, warum sie denn so lange nachdenke, war die Antwort einfach: „Ich mache Kalender!“
3. Januar – Vision und Eingebung
Erfolgreich werden wir die Gedanken der letzten Tage aber nur dann umsetzen können, wenn wir uns Zeit nehmen, eine Vision zu entwickeln und im Geiste das Werden dessen, was wir uns vorgenommen haben, auch im Geist zu durchleben. Dabei bedeutet „träumen“ nicht die manchmal wirren Gedanken der Nacht, sondern vielmehr das Durchdenken einer natürlichen und moralischen Ordnung und die Fähigkeit, die Welt und ihre Zusammenhänge richtig zu verstehen und zu nutzen, die mythische Welt zu reflektieren sowie die Lebenskraft zu besitzen, das Geträumte zu realisieren – träumen wie die Aborigines in Australien.
4. Januar – Abschied nehmen
Haben wir uns an den vergangenen Tagen mit dem Aufräumen, Bereinigen, und Planen beschäftigt, ist es an der Zeit über das Loslassen nachzudenken und uns darauf vorzubereiten Abschied zu nehmen. Nichts währt ewig!
Auch im kommenden Jahr wird es unvorhergesehene Rückschläge geben und wir werden von Liebgewonnenem Abschied nehmen müssen. Geht es mir zurzeit wieder ziemlich gut, weiß ich dennoch, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis meine Krankheit wieder ihren Tribut fordert. Heute stelle ich mich darauf ein und bin gewiss, dass es keinen Weg zum Glück gibt, sondern dass GLÜCKLICH SEIN trotz allen Leidens der richtige Weg ist.
5. Januar – Die Nacht der Wunder
In der letzten Rauhnacht ziehen die Perchten nochmals um die Häuser, aber die Wilde Jagd ist auf dem Rückzug vor der nun täglich heller strahlenden Sonne. Zum letzten Mal wird Haus, Hof und der Stall mit den Tieren ausgeräuchert und ich frage mich, ob das heute auch für die Garage und das Auto gilt?
Hat sich der Bauer früher mit den Tieren unterhalten und ihre Gespräche untereinander belauscht, um mehr über das neue Jahr zu erfahren, so müsste ich heute wohl mit meinem Fahrrad und dem Auto flüstern: „Was ist alter Drahtesel, gibt’s nächstes Jahr ein e-Bike damit ich den Berg wieder raufkomme? Na alter Sechszylinder, gut dass du kein Diesel bist, sonst ging‘s dir an den Kragen!“
6. Januar – Heilig Drei König
Die Rauhnächte sind vorüber und die Sternsinger ziehen von Haus zu Haus um ihr Segenszeichen K + M + B mit Kreide über die Haustür zu schreiben. Ich habe immer geglaubt, es stehe für Kaspar+Melchior+Balthasar, bis mich ein Sternsinger aufgeklärt hat, dass es für „Christ+Mansionem+Benedicat“ steht.
Heute weiß ich, es ist ein uraltes, vor-christliches Ritual, das die Heiligen Drei Madl Katharina + Margarethe + Barbara zum Schutz des Hauses und seiner Bewohner anbrachten. Sie repräsentierten verschiedene Inkarnationen der Urmutter – der Percht, die man auch die drei Bethen nannte. Aber die haben wir ja in den letzten Tagen erfolgreich vertrieben.
Ein bisschen räuchern kann nicht schaden, wer weiß, was die Energiewende noch alles bringt!
Ein gutes, neues Jahr wünsch ich allen meinen Lesern!