An der Küste der Costa Brava in Nordspanien gibt es kaum einen romantischeren, ursprünglicheren Ort als Cadaques mit seinen verschachtelten Häusern und den steilen Gassen, die für Autos viel zu schmal sind. Ein echtes Juwel aber ist das Wohnhaus von Gala und Salvador Dali in Port Lligat, nur ein paar hundert Meter über einen Felshügel und mit dem Auto in wenigen Minuten zu erreichen.
Kubismus dreidimensional
Das kubistische Haus in Port Lligat ist verschachtelt wie ein impressionistisches Gemälde. Ein Zimmer türmt sich auf das andere, kein Fenster ist über einem anderen oder wenigstens auf der gleichen Höhe wie die anderen. Schmale, kleine mit Fensterläden und große, breite Glasfenster ohne sichtbaren Rahmen sind scheinbar wahllos in die weißen Flächen der gestapelten Schachteln gesetzt.
Auf der Gasse vor dem Haus wächst eine von Dali gepflanzte, uralte Zypresse aus den Fragmenten eines noch älteren, hölzerneren Fischerkahns anstelle des fehlenden Mastes. Die doppelflügelige Haustür schillert in dunkelblau, türkis, mit ein bisschen grau dazwischen. Die Farbreste aus den dicken Quastenpinseln, mit denen die Fischer ihre Boote gestrichen hatten, hellblau darüber gepinselt.
Das perfekte, abstrakte Kunstwerk fand Dali damals, als er die Fischer dazu aufforderte, ihre Pinsel an seiner Haustür auszudrücken.
Nachdem das Haus vor über zwanzig Jahren von der Stiftung DALI der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, brauchen wir keine persönliche Einladung des Künstlers mehr, es genügt die vorherige Reservierung im Internet, um Gala und Dali einen Besuch abstatten zu dürfen. Sie mögen schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilen, aber hier in diesem Haus, wird ihr Geist in jedem Winkel erlebbar, ist ihre Kreativität, ihr Einfallsreichtum, ihr leichtes Leben und manchmal auch ihr schwarzer Humor gegenwärtig.
Die Aufwartung der ausgestopften Tiere
Schon beim ersten Schritt in die Diele, den ältesten Teil des Hauses, empfängt uns ein ausgestopfter Eisbär mit einer, zu einer Lampe umgebauten Fischreuse in der rechten Tatze, aus dem Halbdunkel starren uns die weit aufgerissenen Augen einer Eule fragend an: „Was wollte ihr denn hier?“
Wie um das Warten auf den Hausherrn angenehm zu machen, steht direkt hinter der Tür, mit dem Rücken zum Fenster, eines der berühmten Schmollmund- Sofas mit einem schrecklich beige-grün gemusterten Bezug. Wir warten lieber in der Bibliothek, zu der wir linker Hand ein paar Stufen hochgehen, durchqueren das Esszimmer mit dem langen Holztisch und den kleinen, spanischen Flechtstühlen auf der Kaminbank.
Das Bücherregal schwebt als Raumteiler quer durch das Zimmer und wir beeilen uns unwillkürlich, um gebückt darunter hindurch zu huschen, damit wir wie Dali in einem der kleinen gelben Sessel zum Lesen Platz nehmen können. Erst jetzt fallen mir die drei Schwäne in die Augen, die oben auf dem Bücherregal ihre Schwingen ausbreiten, als ob sie fauchend ihr Reich gegen uns Eindringlinge verteidigen wollten.
Gala und Dali hatten sie früher immer gefüttert, bis sie so zahm wurden, dass sie mit einer Lederhaube und einer brennenden Kerze auf dem Kopf, als schwimmende Leuchten die Badenden begleiteten, zumindest bis sie den Kopf wie üblich wieder ins Wasser steckten. Wie sie ausgestopft hier in die Bibliothek und aufs Bücherregel kamen, hat Dali aber nie erzählt.
In der anderen Ecke steht eine üppig barock dekorierte Staffelei, die in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts schon in der Pariser Wohnung des Paares gestanden hatte und irgendwann hier ihren neuen Stammplatz fand. Am fasziniertesten ist in der Bibliothek der Blick durch das große Fenster auf die Bucht von Port Lligat – hier könnten wir stundenlang sitzen und schauen, lesen, sitzen und einfach wieder schauen.
Das Allerheiligste
Irgendwann werden „nach oben“ gebeten. Von der „Halle des Bären“ steigen wir eine schmale Stiege nach oben, kommen am Geschirrschrank in der alten Küche vorbei in ein Treppenhaus, das von einem riesigen, mit weißen Kirschblüten gemusterten, japanischen Papierschirm überspannt wird und von dem eine gewendelte Treppe in eine niedrige Teppichkammer führt. Drei Stufen hoch geht es ins „Modellzimmer“, das dunkelblau mit Moirémuster tapeziert wurde und darauf noch fein karierte Stoffbahnen in rosa, gelb und dunkelrot drapiert wurden – mich erschlägt dieses farbige Verwirrspiel und mein schweifender Blick rettet sich zum Arbeitstisch, auf dem allerlei optische Projektoren und eine Leuchtlupe montiert sind, wie sie Briefmarkensammler verwenden.
Einzig der trapezförmige Mauerdurchbruch ins „Atelier“ lässt mich aufatmen. Der lichte, hohe weiße Raum strahlt Ruhe aus und die zwei großen Fenster nach Norden und Osten geben jetzt am frühen Nachmittag heller, fast schattenloses Licht. Ein großes Holzpaneel lehnt auf der Staffelei, auf der Dali mit grauer Grundierung eine große Figur angedeutet hat. Was das wohl werden sollte?
Eine Spiegelvorrichtung mit zwei fast identischen Bildern Galas verwirrt mich. Während das linke blauer, kühler erscheint, ist das rechte chamois und wärmer. Beide zusammen ergeben im Spiegel ein stereoskopisches Bild. Ob Dali auf dem rechten Auge andere Farbintensitäten sah, als auf dem linken? Oder sollte die unterschiedliche Farbgebung den 3D-Effekt verstärken?
Treppen statt Türen
Der lebensgroße Adonis mit der Maske eines Fechters am Eingang zum Atelier, dem roten Umhang und dem Adidas Football zu Füßen nickt uns zum Abschied scheinbar zu, als wir vom Treppenhaus zum „Gelben Saal“ weitergehen. Die üppig gelb gepolsterte Eckbank, der kleine Holztisch mit der runden Glasplatte und der kleine Beistelltisch, der mich an die Nähmaschine meiner Mutter erinnert, sehen urgemütlich aus. Das faszinierendste ist auch hier der Blick durch das große Fenster auf die blaue Bucht und die vorgelagerten Felseninseln. Wie schon in den anderen Räumen sind auch hier riesige Büschel getrockneter Immortellen zur Dekoration verwendet worden. Diese Blumen wachsen auf den steinigen Schotterhängen der umliegenden Hügel und halten getrocknet scheinbar ewig.
Der schräge Spiegel am Fenster reflektierte die ersten Strahlen der Morgensonne quer durch den großen Raum bis zum Bett Dalis zwei Treppenstufen höher, vorbei am großen Vogelkäfig, in dem Kanarienvögel einst vielstimmig den neuen Tag begrüßten. Am liebsten malte Dali die letzten Gedanken seiner Träume ganz früh am Morgen, noch vor dem Frühstück, ehe sich diese im Alltäglichen verflüchtigten.
Als wir die rechte der beiden Treppen, die den Kamin im „Saal der Vögel“ flankieren hochgehen, fällt mir auf, dass der Boden im Schlafzimmer mit einem dicken, geflochtenen Sisalteppich ausgelegt ist, um eine warme und ruhige Atmosphäre zu schaffen, während im restlichen Haus der kühle Fliesenboden vor allem im Sommer die Hitze erträglicher macht.
Die Aussparung am großen Kamin, der ein mit Ziegelsteinen ummauertes, fernöstliches Mondtor darstellt, wurde erst zusammen mit der weiß getünchten Tür angebracht, die direkt zum kühlen Sommeressplatz im ummauerten Garten führt, als Dali nicht mehr so gut zu Fuß war und die vielen Treppen auf dem Weg in den Garten vermeiden wollte.
Galas rosa Retreat
Der seltsamste Raum des ganzen Hauses ist jedoch der „Ovale Saal“, den man nur durch das Badezimmer und den Schrankraum mit den vielen Fotos in den Glastüren erreicht. Überraschend geräumig, ist er bis auf einen üppig gepolsterten, umlaufenden Diwan, der von einem mächtigen Kamin unterbrochen wird, praktisch ohne Möbel. Der Raum hat nicht nur einen elliptischen Grundriss, sondern Wände und Decke bilden eine Kugel, so dass wir uns wie im Inneren des Panzers einer riesigen Schildkröte fühlen.
So einen Raum hatte Dali schon in den fünfziger Jahren für einen Nachtclub in Acapulco entworfen, der jedoch nie gebaut wurde. Obwohl der Diwan leicht zwanzig und mehr Gästen Platz bietet, wird ein Gespräch durch das vielfältig verstärkte Echo praktisch unmöglich. Das durch die roten Vorhänge rosa schimmernde Licht schafft eine schummrige Atmosphäre und so verwundert es uns wenig, dass dies der Ort war, an den sich Gala mit ihren bevorzugt jungen Gästen zurückzog.
Der ummauerte Garten
Vom Schrankraum gehen wir durch einen, in den Felsen geschlagenen, labyrinthischen schmalen Korridor in den Hof des Gartens, der von weiß gekalkten Trockenmauern und Balustraden umgeben ist und in dem die Zweige lichter Olivenbäume das Licht der Sonne filtern. Das seltsam bläuliche Leuchten der Wände, das in der Hitze des Sommers Kühle suggerieren sollte, erreichte Dali, indem er Agavenblätter im gelöschten Kalk zerstampfen lies, deren Saft diesen Schimmer hervorruft.
Dieser Innenhof, der von einer hohen Mauer gegen die kalte Tramuntana abgeschirmt wird, über die nur der Turm des Taubenschlags mit seinem Ei und die Köpfe von Castor und Pollux spitzen, war der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens, während das Haus nicht für Gäste gedacht war.
Die Inszenierung des Sommers in Perfektion ist der phallusförmige Swimmingpool, der zu Füßen des offenen Pavillons endet, den Dali wie einen Altar nach dem Muster einer Styroporschachtel formte, in der ein Radio für ihn geliefert wurde. Die beiden Sitzkissen sind so angeordnet, dass man einen guten Blick auf die Badenden hatte und diese umgekehrt beim Baden Teil der Gesellschaft blieben.