Auf der Piazza del Popolo wartet Nino auf uns, um uns durch die ehemals mondänen Arkaden der Neustadt und die verwinkelten Gassen der Altstadt Savonas zu führen.
Platz für die Vehikel des Volkes
Schräg gegenüber dem bronzenen Kriegerdenkmal, an dem jeden Tag um 18 Uhr der Verkehr für eine Gedenkminute stehen bleibt, gehen wir in die Bar mit dem besten Café ganz Savonas. Der klare Grappa, den der Barmann wortlos in kleinen Gläsern zu unseren Tassen stellt, ist Wasser! Da hätten wir uns das scheinheilige Lamentieren sparen können, dass wir doch nicht schon früh am Morgen ….
Die Altstadt Savonas
Etwa auf dem halben Weg zum Ende der Prachtstraße, die durch den letzten erhaltenen Wehrturm der Stadtmauer am alten Hafen abgeschlossen wird, lenkt Nino unsere Aufmerksamkeit auf die Fassade des Hauses der Pfauen. Ein langes, gekacheltes Fries schmückt im ersten Stock die Front mit Fantasiebildern blühender Gärten, in denen stolze Pfauen ihr Rad schlagen. Hier haben sich die Patrizier der Stadt nach der Befreiung von Napoleon im 19. Jahrhundert ihre Palazzi zur Repräsentation in den unterschiedlichsten Stilrichtungen erbaut, ohne auf die Lira zu schauen.
Wir biegen bei einer kleinen Kirche in die schmalen Gassen der Altstadt ab, kreuzen die lauschige Piazza delle Maddalena mit der Marienfigur im üppigen Stuckrahmen an der Hausecke, vorbei an traditionellen, kleinen Ladengeschäften, durch den unter einem Torbogen versteckten Eingang zur Pinakothek, zum Bischofspalast und dem Dom.
Dom und Sixtinische Kapelle
Durch den Kreuzgang kommt man aus dem Dom in die Sixtinische Kapelle, die Papst Sixtus IV. als Grabstätte für seine Eltern im 15. Jahrhundert errichten und ausschmücken hat lassen, während er im Vatikan in Rom die weltberühmte Kapelle durch Michelangelo ausmalen ließ (die in Savona ist leider nur manchmal an Wochenenden oder wenn ein neues Schiff mit Kreuzfahrern im Hafen einläuft, geöffnet).
Moderne Kreuzfahrer
Frisch gestärkt steigen wir auf die alte Festung „Fortezze Priamar“, die uns die Vergänglichkeit Savonas in rotem Backstein gemauert vor Augen führt: Verbündet mit den Karthagern, von den Römern erobert und annektiert, jahrhundertelang im Kampf mit Genua von diesem 1528 zerstört und unterjocht, schließlich im zweiten Weltkrieg von den Alliierten bombardiert, um Industrie und Hafen zu zerstören.
Zuletzt hat dann die industrielle Weltrevolution des ausgehenden 20. Jahrhunderts Savona in seinen wirtschaftlichen Grundfesten schwer erschüttert. Das riesige Stahlwerk zu Füßen der Festung hat die letzte Bramme vor zwanzig Jahren geschmiedet. Die steht jetzt als Denkmal des Stahlarbeiters am Fuß der Festung, die Chemie-, Keramik- und Glasindustrie im Hinterland hat längst ihre Tore geschlossen.
Den wirtschaftlichen Niedergang und die hohe Jugendarbeitslosigkeit können auch die Kreuzfahrtschiffe im kurzen Sommer nicht kompensieren.
Tote Kunst und lebendige Kultur
Auf dem Rückweg führt uns Nino in die von außen unscheinbare Kirche der Bruderschaft Oratorio del Cristo Risorto. An einem winzigen Platz, hinter Häuserfassaden versteckt, schiebt sich die Eingangsfassade in blassem brombeerrot vorsichtig ans Licht. Im Inneren empfängt uns das warme Dämmerlicht unzähliger Kerzen in dieser fensterlosen, einschiffigen Basilika. Ein Frater tront hinter der Balustrade in seinem dunklen Habitus. Vor ihm, in der ersten Reihe der Kirchenbänke eine alte Frau in Andacht versunken – Stille!
Links vorne, auf einem hohen Podest eine Figurengruppe mit Christus und seinen Jüngern. Überlebensgroße, bunt bemalte Holzfiguren, warten auf ihren Einsatz. Nächste Woche ist Karwoche, da werden vierundzwanzig Männer aus der Bruderschaft diese schwere Skulptur auf langen Holzstangen, in einer mühsamen Prozession durch die Straßen Savonas tragen. Unter dem Klagegesang der Gemeinde werden sie ihre Sünden abtragen, in langsamen, gleichmäßigen Schritten unter der schweren Last Abbitte tun.
Auf der anderen Seite des Kirchenschiffs Maria Verkündigung mit dem Engel in weißen Gewand und goldenen Flügeln. Der Kerzenschein wirft die Lichtgestalten als seltsame Schatten an die Wand. Die Hand – zum Gruß erhoben – wird zur Warnung vor dem, was kommen wird: „Savona, siehst Du nicht die Zeichen an der Wand?“