Schnell fließt die graugrüne Salzach unter der breiten Staatsbrücke hindurch und trennt Salzburgs Altstadt von der Neustadt, die auch schon mehr als 300 Jahre alt ist. Wir beginnen unseren Stadtbummel am alten Tor zum Rathausplatz der Fürstbischofsstadt, deren alteingesessene Geschäfte schon zu Mozarts Zeiten hier ihren Stammplatz hatten.
Das Mozarthaus in der Getreidegasse
Im alten Rathaus ist noch heute der Sitzungssaal der Gemeindeversammlung. Wir gehen nach rechts in die Getreidegasse, deren leichter Bogen die Unmenge alter Ladenschilder und die Logos der neuzeitlichen Marken schier im Unendlichen verschwinden lässt.
Es herrscht ein dichtes Gedränge und ein babylonisches Sprachgewirr, verstärkt durch die tragbaren Lautsprecher der Reiseführerinnen. Mühsam schieben wir uns durch die Menge, um nach ein paar Schritten Schutz suchend im Torbogen des Mozarthauses dem Trubel zu entfliehen. Wir steigen die steile Stiege zur Museumskasse im ersten Stock hoch.
Von dort geht es weiter in die oberen Stockwerke, in denen die Eltern Mozarts mit dem Nannerl, seiner älteren Schwester eine Dreizimmerwohnung hatten, in der Wolfgang Amadeus Mozart 1756 das Licht der Welt erblickte. Viele seiner Notenblätter und Briefe sind hier ausgestellt sowie auch das kleine Klavier und seine erste Violine, auf der er mit sechs Jahren schon vor hohen Herrschaften musizierte.
In Salzburg ist die Vergangenheit lebendig
Vorsichtig öffne ich eine knarrende, mit Eisen beschlagene Tür, hinter der ich entfernt Stimmen zu hören glaubte. Wie durch einen Schleiervorhang erkenne ich die Haube und die Tracht einer vornehmen Dame. Im Salzburger Dialekt ermahnt sie Maria – offensichtlich eine Magd – beim Einkaufen auf dem Wochenmarkt ja nichts zu vergessen, wo doch morgen am Sonntag Besuch erwartet würde. Es wäre wohl am Besten, den kleinen Mozart mitzunehmen, denn der könne den Einkaufszettel lesen und ihr auf dem Heimweg auch beim Tragen helfen.
Auch die Magd ist seltsam altmodisch gekleidet, es riecht nach Rauch wie von einem offenen Feuer und hinter den beiden erkenne ich einen schmalen Gang, der wie eine Galerie an der Küche vorbei zum Hinterhaus führt. „Jawohl Hagenauerin, des Wolferl geht immer gern mit auf den Markt und der ist mir bestimmt eine große Hilfe“!
Die „Hagenauerin“ ist bestimmt die Hausherrin, bei der die Mozarts vor 250 Jahren zur Miete wohnten, dann ist die Maria bestimmt die Küchenmagd, was auch den Rauchgeruch vom offenen Feuer erklären würde.
Aber wie komme ich hierher – in diese Zeit? Mir bleibt kein Augenblick um zu überlegen, denn die Maria ruft: „Wolfgang kimm amol“, geht auf mich zu – und dann an mir vorbei als wäre ich Luft! Mir ist fast das Herz vor Schreck in die Hose gerutscht.
Von oben höre ich eine Jungenstimme antworten „Ja glei Maria“ und schon das Gepolter von Schuhen auf der Holzstiege. Beide verschwinden auf der Treppe, die wir vorhin – nein wohl erst in 250 Jahren hochkommen werden – und ich hefte mich an ihre Fersen.
Als sie aus dem Torbogen treten und in die Getreidegasse einbiegen, halten sie sich links und biegen bald rechts in die Sterngasse ein. Hier geht’s doch nicht zum Markt? Musste ich in der Getreidegasse sorgfältig darauf achten, wo ich hintrat, um nicht in einen Pferdehaufen der vielen Fuhrwerke zu treten, ist die Griesgasse blitzblank sauber. Hier wurde heute Nacht wohl mal wieder die Salzach ausgeleitet und hat den ganzen Schmutz mitgenommen.
Am Anton-Neumeier-Platz verschwindet Maria mit einem Brief in einem Hauseingang, um gleich darauf wieder aufzutauchen. Das war also der Grund für den Umweg! Jetzt erkenne ich das Haus wieder – hier sind wir gestern mit dem Mönchsberg Aufzug zum Museum der Moderne hochgefahren und haben den fantastischen Ausblick auf Salzburg tief unter uns genossen. Gestern in der Zukunft?
Einkaufen auf dem Wochenmarkt in der Altstadt
Sei’s drum, die beiden eilen jetzt in der Gstättengasse auf das Stadttor zu und sind von einem Moment auf den anderen wie vom Erdboden verschluckt. Des Rätsels Lösung ist ein Gang im rechts von Tor stehenden Haus, der den Fußgängern ein Schlupfloch neben dem Tor lässt, durch das die vierspännigen Kaufmannwagen gerade so durch passen.
Laut fluchend treibt ein Kutscher hinter mir sein Gespann mit Kaltblütern die zum Tor ansteigende Gasse hoch, auf der ich noch stehe. Mit einem Sprung rette ich mich ebenfalls in den finsteren Gang. Wenn ich in dieser Zeitzone auch offensichtlich unsichtbar bin, möchte ich doch nicht ausprobieren ob das für’s Überfahren werden auch gilt.
Als ich nach zwanzig Metern bei der St. Blasius Kirche wieder auftauche, sind die beiden verschwunden – so ein Mist! Ein paar schnelle Schritte und ich bin mitten im Gewirr der Pferdeschwemme. Dort baden die Dragoner des Erzbischoffs die Pferde aus dem großen Marstall, der zu unserer Zeit einmal als großes Festspielhaus genutzt werden wird.
Die breite Hofstallgasse davor ist bis auf ein paar Studenten leer, also müssen die beiden in die Universitätsgasse eingebogen sein. Richtig – da stehen sie bei einer Marktfrau, die neben grünem und lila Spargel auch weißen anbietet. Maria feilscht mit der Marktfrau und nimmt dann doch vier Pfund vom Weißen, obwohl der ein ganzes Stück teurer ist als der lila. Gegenüber, an der Kollegienkirche gibt es das Früchtebrot und den Walnusszwieback die sie beide für Morgen zum Kaffee mitbringen soll.
Ein Stück die Gasse der Wiener Philharmoniker hinein ist der Salzladen, der neben Speisesalz auch Steinsalz aus den Salzburger Bergwerken hat. Das Wolferl staunt, welche Kunstwerke die Steinmetzen aus dem Salzstein geschnitten haben: Schirme für die Ölleuchten, Kerzenhalter und allerlei Figuren. Die Maria aber braucht fein gemahlenes Steinsalz, um damit eine Lauge anzusetzen, in der das Nachthemd des Hausherrn eingeweicht werden soll. Damit wird er heute Abend im Bett kräftig schwitzen, damit er endlich den hartnäckigen Husten loszuwerden.
Gegenüber hat ein Kräuterweiblein seinen Stand, das allerlei getrocknete Gewürze verkauft, die für den Sonntagsbraten noch gebraucht werden. Zurück am Universitätsplatz nutzen die beiden die Gelegenheit beim Jäger Rehbraten zu kaufen und alles gleich in die Küche bringen zu können. Das Hagenauerhaus hat nämlich zwei Hausfronten – eine in der Getreidegasse und die Südseite zur Kirche hin.
Für die restlichen Besorgungen gehen die beiden durch das Zipfer Brauhaus in dessen Durchgang noch heute ein Trafik ist, bei dem Maria Tabak für den Hagenauer mitnimmt. Irgendwann wird er schon das Husten aufhören.
Der alte Markt im Zentrum der Altstadt
Am Alten Markt besorgen sie im Tomaselli den bestellten Kuchen. Wenn der kleine Mozart wüsste, dass viele Jahrzehnte später gegenüber im Fürst die berühmten Mozartkugeln erfunden werden.
Ein paar Schritte weiter in der Hofapotheke holen sie noch die Weihrauchsalbe für das schmerzende Knie der Hagenauerin, ohne die sie die steilen Stiegen im Haus kaum noch bewältigen kann, ehe sie in der Goldgasse noch die Uhrenkette abholen, die dort zur Reparatur bei Goldschmied war.
Durch die Judengasse schlendern sie zurück. Hier ist das Wolferl besonders gern, denn von irgendwo tönt immer eine fremdartige Melodie, wenn ein Klezmer-Musikant für eine Hochzeit oder Bar Muzwa probt.
Fröhlich pfeift er eine lustige Melodie vor sich hin, variiert sie und pfeift sie schließlich rückwärts. Maria ist begeistert: „Des musst aufschreib’n Wolferl, des kannst morgen Abend spuilln, des is schee!“ Mir kommt die Melodie irgendwie bekannt vor – klingt das nicht wie die „Kleine Nachtmusik“? Scheint dass ihr Einkaufsrundgang sich dem Ende zuneigt, denn die Maria lässt sich vom Wolferl nochmal den ganzen Zettel vorlesen, um zu hören, ob sie auch nichts vergessen haben.
Am Rathausplatz verschwinden beide im „SPERL“, der auch heute noch an der gleichen Stelle feine Handschuhe macht. Nur kurze Zeit später verschwinden sie beim „Knopferlmeier“.
Durchs Schaufenster sehe ich, wie sich die Maria schöne Bänder zeigen lässt und dazu passende Knöpfe aussucht. Das dauert – wahrscheinlich standen die gar nicht auf der Hagenauerin ihrer Liste, sondern sind vielleicht für Marias Aussteuer?
Das Geklapper der Knöpfe scheint in Wolferls Fantasie ganze Melodiekaskaden ausgelöst zu haben, denn lustig trällernd hüpft er um Maria im Kreis herum und neckt sie. Lachend verschwinden beide im Torbogen Hagenauer Hauses, das heute Mozarthaus ist.
Um mich herum Gedränge und Geschubse. Koreaner, Japaner, Amerikaner und andere folgen in Scharen roten, blauen und gelben Schildern von laut rufenden Fremdenführern in die Höhe gehalten – die Gegenwart hat mich wieder Schade eigentlich!