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Girona lag schon immer zwischen den Ländern und den Kulturen. Zuerst von den Iberern gegründet, dann von den Römern „zivilisiert“, von den Westgoten besetzt und dann von den Mauren erobert. Bis es Karl der Große belagerte und befreite. Von den Belagerungen durch Napoleon und Franco will ich gar nicht mehr schreiben. Mich wundert nicht, dass die Katalanen seit 40 Jahren unabhängig sein wollen – aber ob das heute noch klug ist?
Die Geschichte von Bruder Jaume
Bruder Jaume atmete erleichtert auf, die zwei Kirchtürme am anderen Ufer des Riu Ter sagten ihm, er und sein Muli hatten es fast geschafft. Sie waren am Ende ihrer Reise in Girona angekommen. Früh am Morgen, noch ehe die ersten Sonnenstrahlen über die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen blitzten, waren sie aufgebrochen. Nächste Woche war schon die Karwoche, aber noch immer blies der Tramuntana eiskalt über die Emporda.
Vorsichtig führte er sein Muli über die schwankende Seilbrücke, die den schmalen Riu Onyar überspannte, ehe dieser weiter unten in der Riu Ter mündete, um dem Mittelmeer zuzustreben. Auf der anderen Seite der Brücke, auf dem kleinen Platz vor der Kirche Sant Feliu, hielten ein paar jüdische Händler Stoffe und Bänder feil, mit denen sie im Frühling wieder als Hausierer durch die Lande ziehen würden.
Bruder Jaume hatten keine Zeit sich die Auslagen näher zu betrachten, zuerst musste er sein Muli bei seinen Dominikanerbrüdern im Kloster Sant Pere de Galligans unterstellen. Von dort waren es nur ein paar Schritte bis zur Badstube, in der er den Staub der Straße und den Geruch des Mulis loswerden musste, ehe er dem Bischof unter die Augen treten konnte.
Im prächtigen Vorraum, des nach arabischen Vorbildern gebauten Badehauses, dem Apodyterium legte er seine Kutte und die Beinkleider ab, wusch sich mit dem von acht Säulen umkränzten Brunnen Gesicht und Hände, ehe ihm der Bademeister im Frigiderium eine kalte Dusche aus dem Ledereimer verpasste. Schlotternd legte er sich im Tepidarium auf die warmen Fliesen der Ruhebank, um wieder warm zu werden. Auf das abschließende Dampfbad im Caldarium verzichtete er heute, das würde zu lange dauern. Er musste vor dem Mittagsleuten in der Kathedrale sein, sonst wäre die Audienz des Bischofs beendet.
Rasch zog Bruder Jaume frische Wäsche und seine Sonntagskutte an und eilte zum mächtigen, von zwei dicken und hohen Türmen bewachten Stadttor Sobreportes, das noch heute die jüdische Vorstadt El Call von der christlichen Altstadt Gironas, dem Bischofspalast und der Kathedrale trennt. Die lange Treppe hinauf zur Kathedrale war damals nicht so breit wie heute und links und rechts mit Läden und Buden von Händlern und Handwerkern gesäumt, die den einfältigeren Gläubigen allerlei Amulette und anderes abergläubisches Zeug aufschwatzten.
Man schrieb das Jahr 1418 und von der Kathedrale stand erst der mächtige Chor mit dem Hauptaltar, der von den anderen Altären im Chorumgang umgeben war. Erst im vorhergehenden Jahr hatte eine Kongregation von Baumeistern nach sorgfältiger Prüfung und vielen Experimenten beschlossen, den Entwurf des portugiesischen Meisters aus Belem für durchführbar zu erklären, das Kirchenschiff als gigantische säulenlose Halle zu Ehren der Jungfrau Maria zu erbauen und damit die traditionelle, dreischiffige gotische Bauweise zu verlassen.
Nachdem Bruder Jaume durch die Pforte des Klosters getreten war und dem Mayor Domus sein Anliegen vorgebracht hatte, wurde ihm bedeutet, nieder zu knien und das Ave Maria zu beten, bis er an der Reihe sei. Unzählige Perlen seines Rosenkranzes später konnte er endlich vor den Bischof treten.
Die Pracht des goldenen Altarschreins, von einem silbernen Baldachin überspannt, den zierliche, dünne Säulen trugen und der das Licht der Rosette tausendfach spiegelte, machten ihn sprachlos vor Erstaunen.
„Was hat er vorzubringen, Bruder Jaume?“ herrschte ihn eine befehlsgewohnte Stimme an, die scheinbar aus dem Himmel kam. Zitternd stammelte er ins Nichts, was ihm der Prior aufgetragen hatte, beim Bischof vorzutragen. Erst als dieser antwortete, entdeckte er diesen hoch oben auf dem Bischofsstuhl. Auf diesem Thron hatte der Sage nach schon Karl der Große bei der Befreiung Gironas aus der Hand der Mauren im Jahr 785 n.Chr. Hof gehalten.
Was der Bischof zu Bruder Jaume im Einzelnen sagte, wissen wir nicht. Aber nachdem er vom Schatzmeister einen Lederbeutel mit Münzen erhielt, scheint seine Audienz für das Kloster günstig verlaufen zu sein.
Heute war Markttag in Girona und außer den Bauern vom Land und den Händlern aus der Stadt war noch allerlei Gesindel und Gelichter in der Stadt. Wie sollte er da zum Haus des Barons von Agullana kommen ohne behelligt zu werden? Da fiel ihm der schmale Weg auf der Stadtmauer ein und der versteckte Aufgang am kleinen Tor hinter der Kathedrale. Den Wächtern erklärte er, dass er im Auftrag des Bischofs sicher zum südlichen Stadttor gelangen musste – diese Notlüge würde der Herr ihm schon nachsehen – und schon war er auf dem Wehrgang der westlichen Stadtmauer. Von dort oben hat man noch immer einen herrlichen Blick auf die Altstadt und das Gewimmel in ihren Gassen, ohne Gefahr zu laufen, bestohlen zu werden. Nach einer guten halben Stunde und mehr als einem dutzendmal treppauf und treppab gelangte er wohlbehalten ans südliche Tor.
Das deutliche Grummeln in seinem Magen erinnerte ihn daran, dass er seit dem Frühstück nur einen Apfel gegessen hatte. Da fiel ihm das „La Penyora“ von seinem letzten Besuch ein, das in den Gassen der Altstadt versteckt auf seinem Weg zum Palau Agullana liegt. Dort wurde er herzlich begrüßt und erhielt einen Stuhl in der Nähe des Ofens, damit seine durchgefrorenen Glieder wieder zum Leben erweckt würden. Er hätte das Dampfbad doch nicht ausschlagen sollen!
Für vierzig Sous erhielt er einen heißen Tee und Weinbergschnecken, sowie eine Kaninchenlende mit Strohkartoffeln und ein Glas Rioja. Der Prior würde nach den Strapazen und dem Erfolg ein Auge zudrücken!
Sein nächster Gang führte ihn an die alte Universität, wo er den Brief für einen Mitbruder abgeben sollte, der dort Theologie lehrte. Durch versteckte Gassen und über schier endlose Treppen gelangte er schließlich zum Palau Agullana, dem Stadthaus des Barons, auf dessen Gebiet ihr Kloster lag. Er hatte zweimal fragen müssen, um den richtigen Weg zu nehmen, aber das Haus, das wie eine Brücke die Gabelung zweier Treppengassen überspannt, kennt in Girona noch heute jedes Kind.
Der Verwalter des Barons empfing ihn selbst und so konnte er ihm seinen Lederbeutel mit den schweren Münzen gleich selbst anvertrauen und sicher sein, dass dieser in den nächsten Tagen unversehrt im Kloster ankommen würde.
Von seiner Bürde erleichtert schlenderte er zuerst die Calle Ballesteries und dann die Rambla entlang, um die Auslagen der vielen Läden zu bestaunen. Schade eigentlich, dass er nichts brauchte! Froh und munter schlenderte er am linken Ufer des Riu Onyar zurück zur Hängebrücke und bewunderte die farbenprächtigen Häuser am Flussufer auf der anderen Seite, die in der Nachmittagssonne hell erstrahlten.
Noch viele Jahrhunderte später fasziniert uns dieser Anblick und ist wohl das Motiv, das kein Besucher von Girona jemals wieder vergisst!