- BERAT, die Stadt der 1000 Fenster
- Butrint, Welterbe und Keimzelle Europas
- Gjirokaster, skipetarische Harmonie
- Welterbe in Albanien
Vorbei an der alten Steinbrücke, die über das breite Kiesflussbett des Osumit führt und den Stadtteil Gorica am gegenüberliegenden Ufer mit dem restlichen Berat verbindet, fahren wir ins Herz der Stadt, zum Sheshi Iliaz Vrioni. Gorica auf der westlichen, Mangalem auf der östlichen Seite – sie gleichen sich wie Zwillinge. An die Berghänge geklebt scheinen die Häuser nur aus Fenstern zu bestehen, weil die unteren Stockwerke hinter dem Wohngeschoss der tiefer liegenden Häuser verschwinden – Stadt der tausend Fenster!
Osmanische Geschichte
Doch das eigentliche Leben spielt sich turbulent, laut und chaotisch weiter südlich in der Neustadt ab. Der große Platz „Sheshi Iliaz Vrioni“ ist der Treffpunkt für Jung und Alt, nur die Touristeninformation hat am Samstag geschlossen. Direkt gegenüber ist ein großzügiger und kostenloser Parkplatz und wir haben Glück: Unser Wohnmobil macht sich schlank und passt astrein in die Parklücke.
Gleich um die Ecke ist die restaurierte Bleimoschee – leider geschlossen! Also marschieren wir ein Stück die Hauptstraße hinauf zum mittelalterlichen Zentrum. Oh je, der heilige Platz von Berat mit der Königsmoschee, der Halveti-Tekke und der Karawanserei ist eine riesige Baustelle. Barrieren sperren die Zufahrtsstraßen, Bagger reissen das alte Pflaster auf und ein Dutzend Arbeiter schaufeln tiefe Gräben, um die Fundamente der Gebäude trockenzulegen.
Vorsichtig steigen wir über Werkzeug, das am Gehsteig liegt und balancieren über Bohlen, die den Graben überbrücken in die Vorhalle der Moschee. Dort ist Handwerkszeug und Baumaterial zwischen den Säulen gelagert und die schwere, alte Holztür zum Gebetsraum der Moschee ist einen Fußbreit offen, drinnen ist niemand zu sehen. Zögernd stehen wir unentschlossen in der halb geöffneten Tür und überlegen, ob Petra hier ohne Kopftuch überhaupt rein kann?
Da taucht plötzlich ein freundlich lächelnder, älterer Mann auf und gibt uns auf Albanisch zu verstehen, dass wir ruhig eintreten könnten. Unseren fragenden Gesichtern muss er angesehen haben, dass wir dem nicht recht trauen, denn er zieht einen mit durchsichtigem Plastik überzogenen Ausweis unter seiner Weste hervor, der an einem Band um seinen Hals hängt. Aufpasser? Polizist? Geheimagent?
Nein, Fremdenführer Ahmet Ali erklärt er uns auf Italienisch und fragt woher wir kommen. Aus Gjermani – ja da müssen wir unbedingt in die Moschee und er werde uns auch einiges darüber erzählen.
Der Heilige Platz
Nachdem wir eingetreten sind, befinden wir uns in einem quadratischen Raum von etwa 15 mal 15 Metern, dessen Holzkassettendecke bestimmt neun Meter hoch ist und im vorderen Teil von einer achteckigen Kuppel gekrönt wird, aus der ein siebenarmiger Leuchter hängt. Darunter, inmitten der Qibla-Wand, die zur heiligen Kaaba nach Mekka zeigt, ist der Mihrab, die Gebetsnische für den Imam der Gemeinde, dessen Halbrund den Schall des Vorbeters bündelt, so dass er im ganzen Raum gut zu hören ist.
Am linken Fenster ist eine seltsame Tafel mit sechs verschiedenen, über den ganzen Tag verteilten Uhrzeiten, die durch kleine Zifferblätter angezeigt werden. So etwas habe ich schon oft in chinesische Hotels gesehen, die sich den Anschein der Internationalität dadurch verleihen wollten, indem sie die lokale Uhrzeit der seltsamsten Orte der Welt anzeigten.
Ahmet erklärt uns, dass dies die Zeiten des Gebets seien, wobei die um kurz vor drei Uhr morgens weggefallen sei, da vorgestern der Fastenmonat Ramadan endete, in dem auch mitten in der Nacht gebetet wird. Und überhaupt müsse ein gläubiger Moslem nicht in der Moschee beten, sondern könne das genauso gut auf dem Gebetsteppich zu Hause erledigen.
Während der kommunistischen Zeit unter Enver Hoxha wäre die Moschee sowieso als Tischtennishalle für die Bonzen genutzt worden und nicht einmal zum Freitagsgebet nutzbar gewesen – obwohl das für jeden gläubigen Mann verpflichtend sei! Zum Freitagsgebet würde der Chatib die Chutba von der vorletzten Stufe der Minbar predigen, das ist die Kanzel rechts von der Gebetsnische, zu der hinter einem grünen Vorhang eine Treppe hochführt. Die letzte Stufe der Treppe ist Mohammed vorbehalten, der sich im Hof seines Hauses in Medina als erster so eine erhöhte Plattform für seine Predigt hat einrichten lassen.
Als wir uns umwenden, bemerken wir eine geschwungene Balustrade auf einem Zwischenboden. Dort ist die Dikka, die Empore für die Frauen, die durch gitterartiges Schnitzwerk vom Hauptraum getrennt ist. Fast wie ein Lettner in einer bayerischen Barockkirche. Die schmale Stiege im Hintergrund darf aber nur der Muezzin und der Imam benutzen, die Frauen mussten von der Außentreppe auf die Empore steigen, um garantiert jeden Kontakt mit den Männern zu vermeiden.
Da aber Baustelle ist, darf Petra jetzt auch die schmale Stiege nutzen, an der ich mir glatt den Kopf an einem Balken einrenne, weil ich versuche die Fototasche mit hoch zu bugsieren.
Oben ist eine seltsame Ruhe, der Baustellenlärm entrückt, der Koran auf dem Kursi, einem niederen Lesepult zur Rezitation aufgeschlagen. Von hier lässt der Muezzin das Iqama, die Aufforderung zum Gebet erschallen und der Qari trägt die Suren des Koran vor.
Der Glaube hängt nicht an der Konfession
Auf die Frage, warum eigentlich im Islam ausgerechnet der Freitag als der wichtigste Gebetstag festgelegt wurde, antwortet Ahmet mit einem schelmischen Lächeln:
„Der Sabbat war von den Juden bereits heiliggesprochen worden, die Christen feiern den Sonntag als den Tag der Auferstehung des Herrn, da blieb Mohammed nur noch der Freitag vor dem Sabbat. Aber im Ernst – Freitag war zu Mohammeds Zeit Markttag in Medina und alle Männer waren sowieso zum Handeln in der Stadt. Da war es am einfachsten, den Markt für eine Stunde ruhen zu lassen, um dem Freitagsgebet im Hof von Mohammeds Haus lauschen zu können.“
Auf die Frage, warum die Moschee in Berat keinen umfriedeten Hof hätte, wie die meisten Moscheen sonst auf der Welt, erklärt Ahmet, eine überdachte Säulenhalle sei im regnerischen Albanien einfach praktischer! An sich scheinen die Albaner ziemlich pragmatisch mit den unterschiedlichen Konfessionen umgegangen zu sein. So erzählt uns Ahmet, dass eine Heirat zwischen Familien unterschiedlicher Konfessionen zwar nicht üblich, aber beileibe kein Beinbruch war.
Die Halveti Sufisten mit der benachbarten Tekke folgten einer wesentlich freizügigeren Auslegung des Korans und hatten auch Bilder in ihren Moscheen. Da in Albanien traditionell auch orthodoxe Christen griechischer Abstammung leben, gab es schon immer verschiedene Glaubensgemeinschaften. Kein Problem, im Zweifel feierte man die Feste gemeinsam. So ist noch heute das Ende des Ramadan für alle ein Anlass ausgelassen zu feiern und zu tafeln, fast so wie das amerikanische Truthahnessen zu Erntedank, bei dem es auch auf den Turkey und nicht auf das Glaubensbekenntnis ankommt.
In der kleineren Halveti Tekke, die nicht nur Gebetsraum und Schule, sondern auch Treffpunkt der Männer war, erkenne ich keine wesentlichen Unterschiede zur Königsmoschee, wenn man davon absieht, dass die Empore der Frauen nicht durch einen Sichtschutz abgetrennt ist und die reich verzierte Holzdecke im islamisierten Barock teilweise prächtig vergoldet ist.
Als der Architekt mit dem Bauleiter auftaucht und mit Ahmet palavert, warum wir trotz „Betreten verboten“ Schilder in der Tekke seien, packe ich meine Kamera ein und wir schleichen freundlich grüßend über den Hof hinüber zur Karawanserei, wo uns Ahmet erzählt, dass hier die Karawanen aus dem Osten übernachtet haben. Unten die Packpferde in den Ställen und oben die Kaufleute und Treiber in den Stuben. Von Berat zogen sie weiter nach Durres an der Adriaküste, wo die Venezianer orientalische Waren aufkauften und sie im ganzen Mittelmeerraum gewinnbringend an den Mann brachten.
Kunstpause
Nach so viel geballter Kultur bedanken wir uns bei Ahmet Ali für seine Geduld und schlendern vorbei an den Resten des alten Königspalastes, dem säulengeschmückten Eingang des ehemaligen Harems über die Hängebrücke hinüber nach Gorica, wo uns von weitem schon die Terrasse des Hotels Muzaka lacht, in dem ausnahmsweise nicht nur Männer sitzen.
Als wir an einem Marktstand mit Taschen vorbeikommen, spricht die Verkäuferin Petra direkt auf ihre selbst genähte Jeanstasche an und zeigt ihr stolz einen Jeansrucksack – auch selbst genäht! So sind die Leute hier – offen, nett und überaus freundlich. Zumindest die meisten, denn beim Geld tauschen in der Wechselstube kam ein junger Mann mit dunkler Sonnenbrille hereingestürzt und wollte dickes Bündel mit 500 Euro Scheinen in kleinere Euroscheine gewechselt haben – oha das in Albanien, dessen Währung Leke ist. Ich verzog mich mit meinen für 50 Euro getauschten Lek schnell – das war sehr suspekt!
Die Sonne drückt herunter, es ist heiß und so beschließen wir uns ganz komfortabel mit dem Taxi zur Burg in der Oberstadt Kala fahren zu lassen. Eine gute Entscheidung, denn der direkte Weg über die Mihal Kommena ist wegen der Baustelle gesperrt und dadurch wird es eine Viertelstunde Fahrt über die Muzak Topia, ein schmales Bergsträßchen mit Gegenverkehr und nichts für Wohnmobile!
Die Bergfestung Kala
Die Kala entpuppt sich als eine befestigte Bergstadt mit einer integrierten Herrenburg, von der allerding außer der Zisterne, einigen Turmruinen und der umlaufenden, hohen Stadtmauer wenig erhalten geblieben ist. Die Aussicht ist grandios, der Blick bis zum heiligen Berg Tomorri mit 2.500m, der sich wie jeder heilige Berg natürlich in Wolken hüllt.
Im oberen Dorfviertel ist das Ikonografisches Nationalmuseum „ONUFRI“, benannt nach dem berühmtesten Ikonenmaler Albaniens. Dieses einzigartige Museum ist für jeden Besucher von Berat ein absolutes Muss. In der ehemaligen Marienkirche aus dem 18. Jhdt. sind die Ikonostase und andere Ikonen des berühmten mittelalterlichen, albanischen Ikonenmalers Onufri und die seines Sohnes Nikolla in einer kirchlichen Umgebung ausgestellt.
Das Kirchenschiff ist mit Stein und Tonfliesen in Form einer Sonnenuhr ausgelegt, das den christlichen Kosmos bildlich darstellt. Die Ikonostase aus 1806 ist aus Holz geschnitzt und dann vergoldet. Hinter ihr, im Allerheiligsten Altarraum sind Reste des originalen Freskos mit den Aposteln zu sehen. Hier wurden die zwei berühmten Codizes von Berat versteckt.
Wir besuchen auch die angegliederten Ausstellungsräume mit dem Fresko des Jüngsten Gerichts an der Treppe und dem Spendenkasten, der deutlich die Konsequenzen von zu geringer Spendenfreudigkeit darstellt (Museumsführer als PDF im Archiv)
Hier in Berat haben wir einen bildhaften Einblick in „Die Ordnung des Himmels“ erhalten. Wie sagte Ahmed Ali bei der Moschee: „Jeder soll glauben womit er glücklich und gerecht leben kann!“